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Apr

Brandschutz meets Funktionale Sicherheit

Die Themen Funktionale Sicherheit (FuSi) und Safety Integrity Level (SIL) sind nicht nur komplex, sondern auch hochaktuell. Durch die Tätigkeiten vieler Gremien in unterschiedlichen Branchen entstehen derzeit zahlreiche neue Vorschriften, die die beiden Themen im Blick haben.

Auch im Bauwesen wird derzeit am Thema gearbeitet. So beschäftigt sich beispielsweise beim Verein Deutscher Ingenieure ein Gremium mit dem Themengebiet. Die Richtlinie VDI 6010 Blatt 4 trägt den Titel: Sicherheitstechnik – Anwendung von SIL-Klassifizierungen in der TGA und ist aus der Richtlinienreihe VDI 6010 „Sicherheitstechnische Einrichtungen“ entstanden. Die Themen Funktionale Sicherheit und SIL sind also nun auch im Bauwesen, in der Gebäudetechnik und im Brandschutz angekommen.

Inspiriert durch den Artikel des Kollegen Herrn Dr. Johannes Lottermann „Konstruktiver Explosionsschutz meets SIL“ stellen wir Ihnen die Kerngedanken zu den Themen Funktionale Sicherheit und SIL im Hinblick auf den Brandschutz dar.

Was ist Funktionale Sicherheit bzw. Safety Integrity Level (SIL)?

Vereinfacht formuliert geht es im Kern darum anhand einer Risikobeurteilung die erforderliche Zuverlässigkeit von Schutzsystemen, z. B. einer Brandmeldeanlage festzulegen. Noch einfacher ausgedrückt geht es darum sicherheitsrelevante Anlagen im Hinblick auf den Anforderungsfall angemessen sicher, also zuverlässig, zu machen.

Die Funktionale Sicherheit und die Festlegung des Sicherheitsintegritätslevels (engl.: Safety Integrity Level (SIL)) bieten hierfür einen erprobten Rahmen. Ausgehend von der Grundnorm für Funktionale Sicherheit IEC 61508 hat sich dieser Ansatz zu einem wichtigen Standbein der Sicherheitstechnik in zahlreichen Branchen entwickelt. Die Funktionale Sicherheit kommt beispielsweise in der Prozessindustrie (IEC 61511), der Maschinensicherheit (IEC 62061), bei den Bahnanwendungen (EN 50128), im Automotiv-Bereich (ISO 26262) und in zahlreichen anderen Bereichen erfolgreich zum Einsatz.

Funktionale Sicherheit und Brandschutz

Wie auch bei der Funktionalen Sicherheit geht es im Brandschutz um die Risikoreduktion auf ein gesellschaftlich akzeptables Maß. Der Brandschutz bietet hierfür eine breite Palette an erprobten Lösungen, die sowohl die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Brandereignisses als auch deren Schadensschwere reduzieren.

Maßnahmen der Funktionalen Sicherheit und des Brandschutzes spielen vor Allem im Anforderungsfall eine besondere Rolle. Auf den definierten Anforderungsfall bzw. Anforderungsfälle und Schadensszenarien werden alle passiven und aktiven Elemente des Gesamtsystems ausgelegt. Erst die Summe aller Maßnahmen, deren Interaktion und Ansteuerungen im Brandfall (Brandfallsteuerung aktiver Elemente) hilft die Schutzziele angemessen zu erreichen.

Im Brandschutz wird immer wieder die Zuverlässigkeit von einzelnen Maßnahmen diskutiert. So herrscht die Meinung vor, dass bauliche Brandschutzmaßnahmen (z. B. raumabschließende Decken und Wände in entsprechender Qualität) eine inhärente Zuverlässigkeit haben und deshalb besonders sicher im Anforderungsfall sind. Auch der Anlagentechnik im Brandschutz bescheinigen, vor allem die Anlagenhersteller, ihren Systemen eine hohe Zuverlässigkeit.

Solche Aussagen hinsichtlich der Zuverlässigkeit im Anforderungsfall müssen jedoch nicht, wie so häufig lose, unzusammenhängend und immer rein qualitativ getroffen werden. Genau hierfür bietet die Funktionale Sicherheit Möglichkeiten und Methoden die Zuverlässigkeit ganzheitlich, zu betrachten. Hierbei werden u. a. der Sicherheitslebenszyklus, die Sicherheitsarchitektur, die Sicherheit von Sensoren, der Verarbeitenden Einheiten und der Aktoren, organisatorische und risikoreduzierende und zahlreiche andere Sachverhalte und Maßnahmen betrachtet.

Natürlich ist die Anwendung der generischen Grundnorm für Funktionale Sicherheit IEC 61508 im Bauwesen nicht immer direkt möglich. Die Grundnorm ist jedoch ein guter Ausgangspunkt, um sich in Projekten dem Thema zu nähern. Sie ist ferner ein guter Ausgangspunkt, um eine brancheneigene Norm zu entwickeln. In dieser Norm sollten branchenspezifische Anforderungen festgelegt und Methoden zur Beurteilung dargestellt werden, mit denen man nicht nur anlagentechnische sondern auch bauliche Komponenten und deren Zuverlässigkeit ganzheitlich betrachten kann.

Fazit

Wie auch generell in der Sicherheitstechnik reicht es auch im Brandschutz  nicht einzelne technische und soziotechnische Systeme zuverlässig auszulegen. Vielmehr ist ein ganzheitliches Gesamtkonzept in dem angemessen zuverlässige technische Systeme aber auch andere risikoreduzierende Maßnahmen zum Einsatz kommen zu erstellen. Die Methoden der Funktionalen Sicherheit ermöglichen die Sicherheit im Brandschutz und hier insbesondere speziell im anlagentechnischen Brandschutz auf ein neues Niveau zu heben. Bei komplexen Projekten ist die Anwendung der Methoden und der Ansätze der Funktionalen Sicherheit, um den anlagentechnischen Brandschutz quantitativ nachweisbar sicher und zuverlässig zu gestalten, unserer Meinung nach, unumgänglich.

Herzliche Grüße
Dr. Eugen Nachtigall